6% Nachzahlungszinsen (§ 233a AO) – verfassungswidrig

Das Bundesverfassungsgericht hat am 8.7.2021 den lange erwarteten Beschluss zu diesen Sachverhalten erlassen (1 BvR 2237/14, 2422/17).

Das BVerfG hat keine Verfassungswidrigkeit für Stundungs-, Aussetzungs- und Hinterziehungszinsen sowie Säumniszuschlägen angenommen. Die Stundungs- und Aussetzungszinsen seien auf einen Antrag des Steuerpflichtigen basiert, die Hinterziehungszinsen seien in Kauf genommen worden.

Dagegen hat das BVerfG ausgesprochen, dass in Bezug auf die 6% Nachzahlungszinsen für Verzinsungszeiträume ab 2014 ein Verfassungsverstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG bestanden habe, davor jedoch nicht. Der Gesetzgeber habe wegen seines weiten Ermessensspielraums eine Nachfolgeregelung zu treffen. Weiter hebt das Gericht wegen der Haushaltsrisiken hervor, dass die Norm aber doch bis zum 31.12.2018 weiter angewendet werden dürfe.

Soweit Steuerbescheide bestandskräftig sind, bleibt es dabei.

Soweit Steuerbescheide dagegen noch nicht bestandkräftig sind, kann auf die jetzt vom BVerfG Rechtslage reagiert werden. Ich lese Tz. 252 des Beschlusses so, dass bisher festgesetzte Verzinsungen für die Verzinsungszeiträume 2014 bis 2018 weiter zulässig sind, nicht dagegen Neufestsetzungen (etwa nach BP). Es liegt an dem Gesetzgeber, für diese Jahre doch eine rechtmäßigere Rechtslage herzustellen. M.E. kann er darauf aber auch mit Blick auf die Haushaltsanforderungen verzichten.

Steuerbescheide mit Zinsfestsetzungen für Zeiträume ab 2019 sind dagegen rechtswidrig. Soweit Steuerbescheide noch nicht bestandskräftig sind, kann das im Wege des Einspruchs geltend gemacht werden. In der Regel sind allerdings seit Mai 2019 ergangene Steuerbescheide von Amts wegen hinsichtlich der Zinsfestsetzung vorläufig nach § 165 Abs.1 S. 2 Nr. 3 AO ergangen. Daher sollte eine Änderung regelmäßig möglich sein.

Es ist aber noch völlig offen, wie im Einzelnen die Finanzverwaltung und der Gesetzgeber reagieren werden. Es gibt eine Vielzahl von Fällen, in denen gegen die Festsetzung der Zinsen Einspruch eingelegt wurde. Von der Finanzverwaltung wurde jedenfalls für Verzinsungen ab dem 1.4.2012 auf Antrag Aussetzung der Vollziehung gewährt. Diese Fälle werden nun für die Jahre bis 2013 abschlägig entschieden. Es bleibt abzuwarten, ob die Finanzverwaltung bzw. der Gesetzgeber auf die Anwendung des gleichheitssatzwidrigen Gesetzes für die Jahre 2014 bis 2018 beharrt. Für die Folgezeit muss nun der Gesetzgeber eine Neuregelung treffen. Das BVerfG hat in den Tz. 158 ff. als Zweck der Gesetzgebung der aktuellen Nachzahlungszinsen eine marktübliche Verzinsung hervorgehoben. Diese habe sich an einem Quorum von 2% über dem seinerzeitigen Bundesbankdiskontsatz und dem seinerzeitigen Durchschnittsmarktzinsniveau orientiert. Hieran könnte der Gesetzgeber anknüpfen. Systemgemäß wären dann wohl 2% über Basiszinssatz, vielleicht läge auch ein Mindestzinssatz von 2% dem Gesetzgeber nahe. Ob der Gesetzgeber ein völlig neues System – bis zu dem vom BVerfG festgelegten Stichtag 31.7.2022 – schafft, ist mit Blick auf den wegen der Bedeutung wohl zu bejahenden Zeitdruck eher unwahrscheinlich.

Das Gericht sieht in Tz. 258 der Entscheidung wohl auch die Festsetzung von Erstattungszinsen für verfassungswidrig an, weist aber ausdrücklich auf die Änderungssperre nach § 176 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO (für den Fall der Nichtigkeitserklärung eines Gesetzes, hier ist es dagegen nur für unvereinbar erklärt worden) als ‚zu prüfen‘ hin.


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